Nachhaltige Kommunikation: Inhalt statt Content, kunstvoll statt künstlich

Veröffentlicht:
13.9.2024
Aktualisiert:
23.9.2024

2014 warnt der amerikanische Marketingexperte Mark Schaefer vor einem „Content-Schock“. Der weltweit angesehene Keynote-Speaker für Wirtschaftsthemen meint damit, dass das „Content-Modell“, in dem Unternehmen Kunden mit nützlichen oder unterhaltsamen Inhalten anlocken, scheitern muss. Denn die Masse an frei verfügbaren Inhalten – das Angebot – wächst exponentiell; die Aufnahmefähigkeit des Menschen – die Nachfrage – ist aber begrenzt. Dadurch verlieren Inhalte kontinuierlich und unaufhaltsam an Wert.

Die Warnung leuchtet schon damals ein. Dann erscheinen ChatGPT, Google Gemini, Dall-E und Midjourney.

Die Schattenseite der automatisierten Content-Produktion

Die Produktion von Text und Bildern kann man heute komplett automatisieren. Mit erstaunlichen Ergebnissen und unfassbar schnell. Dieser vermeintliche Segen entwickelt sich für professionelle Kommunikation gerade zum Fluch: 96,5 % aller Inhalte im Netz erhalten bereits heute keine Besucher via Google. Ja, richtig gelesen: Fast 97 % aller Inhalte im Netz sind effektiv unsichtbar.

Das ist nicht nur eine Verschwendung von Arbeitszeit. Es ist auch ein Problem für Klima und Wirtschaft: Das Internet als Hauptverkehrspunkt für Kommunikationsinhalte verbraucht heute bereits Abermilliarden Terrawattstunden an Strom. Durch den Einsatz von KI könnte sich dieser Energiebedarf verzehnfachen. Und es ist ein Problem der Glaubwürdigkeit: Schon vor der großen KI-Welle vertrauten nur etwas mehr als 10 % der Menschen professioneller Kommunikation; wie sieht das erst aus, wenn KI-Reporter ganze Geschichten samt Namen von Personen einfach erfinden?

Hamsterrad Aufmerksamkeitserregung: Mitrennen oder Entkommen?

Das klingt nach Technik-Pessimismus, Rückwärtsgewandtheit und KI-Bashing. Ist es aber nicht. Bei Storymaker haben wir uns schon vor ChatGPT für KI interessiert. Wir entwickeln Methoden für die Storys der Zukunft. Und nutzen selbstverständlich digitale Werkzeuge, inkl. generative KI. Der Punkt ist nicht, darauf generell zu verzichten. Stattdessen stellt sich die Frage, wie wir mit Kommunikation weiter unsere Ziele und Zielgruppen erreichen in einer Zukunft, nein, Gegenwart, in der der Wettkampf um Aufmerksamkeit immer härter wird.

Ein Ansatz dabei ist, jedem Trend hinterherzulaufen – wodurch z. B. Spiegelstrich-Listen plötzlich zu angeblich vielversprechenden Formaten mit hippem Namen („Listicle“) werden; mit Automatisierung die Taktung der Inhalte immer weiter hochzutreiben – irgendwas wird schon landen; oder ständig den allmächtigen Algorithmus von Google und LinkedIn zu deuten, um die zehn SEO-Gebote des Monats zu ermitteln.

Man muss dieses Spiel aber nicht mitspielen.

Kommunikation ist kein Spiel, sondern eine Kunst

„Nicht mitspielen“ bedeutet natürlich nicht, nicht mehr zu kommunizieren. Unternehmen sind darauf angewiesen, ihre Inhalte bei ihren Zielgruppen zu platzieren und ihre Anliegen gesellschaftlich zu vertreten und durchzusetzen. Aber gerade in Zeiten starken Wandels lohnt es sich, den Lärm des Umfelds auszublenden und sich auf das Wesentliche zu besinnen.

Und das Wesentliche ist: Kommunikation ist eine Kunst und kein Spiel. Ihr Erfolgsideal ist nicht, gegen andere zu gewinnen, um jeden Preis und mit jedem Trick, der gerade opportun erscheint. Ihr Erfolgsideal ist, eine Botschaft so an die Zielgruppe zu senden, dass diese sie versteht und motiviert ist, ihren Geltungsanspruch zu akzeptieren – aufgrund des „eigentümlich zwanglosen Zwang des besseren Arguments“, mit Habermas gesprochen.

Qualität setzt sich durch, auch bei Google

KI kann beim Erreichen dieses Ideals ein opportunes Hilfsmittel sein. Aber auch die raffiniertesten Prompts ersetzen nicht das grundlegende kommunikative Handwerkszeug. Den Maßstab für dieses Handwerkszeug setzt die Rhetorik, die seit der griechischen Antike die Kriterien für erfolgreiche strategische Kommunikation kennt. Darunter vor allem sprachliche und gedankliche Klarheit (claritas), Kürze (brevitas), Korrektheit (puritas), Angemessenheit (aptum) und ein Gefühl für Timing (kairos).

Kurz gesagt: Wisse, worüber du sprichst, was du erreichen willst und wofür du stehst, fasse dich kurz, drücke dich korrekt aus, bedenke deine Zielgruppe und kommuniziere dann (und nur dann), wenn es zielführend ist. Es gibt keine KI, die diese Entscheidungen für einen treffen kann.

Dass hochwertige, gut durchdachte Texte von Menschen für Menschen langfristig die bessere Strategie sind, zeigt Google selbst: Seit dem Helpful Content Update, Spam Update und Core Update 2023 verlieren Webseiten, die auf automatisierte Masseninhalte und starke Suchmaschinenoptimierung setzen, an Sichtbarkeit. Wer die Grundlagen meistert, statt Trends hinterherzulaufen, ist also nach wie vor im Vorteil.

Die Herausforderung dabei ist: Nur weil es einfach ist, heißt es nicht, dass es leicht ist – sonst wäre es ja auch keine Kunst. Zugleich liegt hierin die Lösung für das Problem, das Mark Schaefer so treffend formuliert hat: Der Wert von Content mag sinken – aber Kommunikation mit Inhalt wird dafür umso wichtiger. Gerade in Zeiten des Umbruchs, in denen Menschen nach Orientierung suchen. Wer diese liefert, bleibt sichtbar – und seine Kommunikation wertvoll.

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Heidrun Haug

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