Handelsblatt 18.05.2001
Das Unternehmen als erfolgreiche Story
Zunehmend genervt reagieren Redakteure auf Anrufe von PR-Arbeitern, die sich nach dem Abdruck der Pressemitteilung erkundigen oder vollmundig die Leistungen des Unternehmens anpreisen. Zuviel schlechte Werbung anstatt gute Storys, so die Kritik. Die Krise der New Economy hat auch PR in Verruf gebracht, weil mit den Mitteln der Öffentlichkeitsarbeit allzu oft die haltlosen Versprechungen der Unternehmensgründer als Tatsachen kommuniziert wurden. Wer die Prinzipien des Storyschreibens kennt und beachtet, ist dagegen gewappnet.
Eine Story handelt von Chancen und Risiken, nicht von Erfolgsrezepten.
Alle Geschichten, die den Erfolg eines Unternehmens als gesichert darstellen, sind unwahr, stereotyp und langweilig. Die Gründung und Entwicklung eines Unternehmens ist wie eine Abenteuerreise, die auch so beschrieben gehört: Mit viel Mut, guter Vorbereitung, gründlichen Abwägungen – und mit unsicherem Ausgang. Jedes neue Produkt, das auf den Markt gebracht wird, jede Änderung in der Unternehmensstrategie ist mit Risikofaktoren behaftet. Wer diese verschweigt, nimmt dem Unternehmertum seinen Reiz. Ganz gleich, in welchem Markt ein Unternehmen tätig ist, ob es etabliert oder frisch gegründet ist, wenn der Kampf um den Erfolg beschrieben wird, dann interessieren sich Redaktionen für den Stoff, dann ist die Story für die Leser spannend. Und wird zudem den Anstrengungen gerecht, die ein Unternehmer auf sich nimmt.
Eine Story handelt von Persönlichkeiten, nicht von Sachen.
Die Story zeigt die Köpfe, die hinter dem Unternehmen stehen und erläutert deren Beweggründe, Gedanken und Handlungen. Ein Unternehmen, das anonym bleibt und nur Leistungen und Produkte, aber keine Menschen hat, lebt nicht. Es ist kalt, unpersönlich, weckt keine Emotionen. Die Öffentlichkeit möchte unterhalten sein, an menschlichen Erfahrungen und Erlebnissen partizipieren, mitleiden und sich begeistern. Was treibt die Startup-Gründer? Nach welchen Kriterien führt der Vorstand das Unternehmen? Welche Erfahrungen bringt der oberste Entscheider mit? Geschichten über Technologien, neue Verfahren oder Produkte sind etwas für trockene Wissenschaftsmagazine, Storys mit human touch werden überall gerne gelesen und gehört, weil jeder davon lernen kann. Eine gute Story bringt die Lenker und die Mitarbeiter des Unternehmens ans Licht und charakterisiert die Persönlichkeiten.
Eine Story handelt von Visionen, nicht von Fantasie.
Erspinnen kann man sich vieles: Wie schön wären doch 150ige Wachstumsraten, gute Geschäftsbeziehungen zu den Tycoons der Branche, Superprojekte bei Großkonzernen, ein schmuckes Firmendomizil und davor der Ferrari für den Chef, Dependancen hier und da und am besten überall auf der Welt. Doch Storymaking hat nichts mit Märchen oder Fantasterei zu tun. Wichtig ist die Vision des Unternehmers, wie er die Wirklichkeit durch seine Geschäftsidee verändern möchte. Was wird besser, was einfacher, wo liegt der Nutzen für die Kundschaft. Visionen haben gestalterische Kraft und sind realisierbare Vorstellungen für die Zukunft. Deshalb stehen sie im Mittelpunkt einer jeden Story.
Eine Story handelt von echter Innovation, nicht von me-too.
Niemand kann mit Gewissheit sagen, was sich verkaufen lässt und zu einem wirtschaftlichen Erfolg wird. Jedes Unternehmen wird mit Mut und Kalkulation gegründet oder geführt. Und natürlich möchte jeder Manager den Erfolg haben. Doch allein verlockende Marktprognosen reichen nicht aus, um ein Produkt erfolgreich zu positionieren. Der Markt erwartet Neues und belohnt Unternehmen, die Probleme lösen, Regeln brechen und die Herausforderungen meistern. Me-too-Unternehmen, die auf einen Zug aufspringen wollen, geben keine gute Story ab.
Eine Story handelt von Fakten, nicht von Ankündigungen.
Ankündigen kann man vieles. Entscheidend ist, was das Unternehmen umsetzt. Ability to execute muss nachgewiesen werden. Hier hilft nur eines: Fakten, Fakten, Fakten. Mit leeren Versprechungen und Allgemeinplätzen lässt sich keine Story füllen. Das Unternehmen muss hard facts bieten: Kunden mit Namen und Gesicht, Produkte mit Preis und Absatzzahlen, Erfolg mit Umsatz und Gewinn.
Eine Story handelt von Originalität, nicht von Wiederholungen.
Uninteressante Unternehmen gibt es nicht. In jeder Firma steckt eine Geschichte, die es wert ist, erzählt zu werden. Aber die Story muss wahrhaftig und authentisch sein. Die Story sucht nach diesen originellen Aspekten, die ein Unternehmen einzigartig machen: in der Produktentwicklung, in der Marketingstrategie, in der Personalführung, im Vertriebskonzept, in der Unternehmenskultur, wo auch immer irgendwo findet man das Außergewöhnliche, vielleicht sogar ein Alleinstellungsmerkmal, das die Hoffnung auf eine erfolgreiche Zukunft nährt.
Eine Story hat viele Storys.
Die Mediengesellschaft ist hungrig nach guten Storys. Die große Unternehmensgeschichte bildet den Rahmen für unzählige Themen, die auf sie Bezug nehmen. Jedes Thema kann als Story aufgebaut werden: mit interessanten Handlungen, mit Menschen, Statements, Argumenten und Fakten. Wenn die Story Erfahrungen vermittelt, Einschätzungen herleitet und Substanz hat, dann wird sie gern gedruckt und gelesen. Für das Unternehmen entsteht so peu à peu Identität und Vertrauen, weil die Story authentisch ist.